Cannabis in Deutschland: Was ist legal und wo liegen die Grenzen?
Seit dem 1. April 2024 hat sich die rechtliche Situation von Cannabis in Deutschland grundlegend geändert. Mit dem Inkrafttreten des Cannabisgesetzes (CanG) ist der Besitz und private Anbau für Erwachsene unter bestimmten Voraussetzungen nicht mehr strafbar. Diese Neuregelung wirft bei vielen Patienten Fragen auf: Was bedeutet das für medizinisches Cannabis? Bleibt alles beim Alten oder gibt es auch hier Änderungen?Dieser Artikel bietet Ihnen einen umfassenden Überblick über den aktuellen Stand, erklärt die entscheidenden Unterschiede zwischen der Nutzung zu Genusszwecken und der medizinischen Therapie und erläutert, warum eine ärztliche Begleitung bei der Behandlung mit Cannabinoiden unerlässlich bleibt.
Das neue Cannabisgesetz (CanG): Ein Paradigmenwechsel
Das neue Gesetz legalisiert den privaten Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis im öffentlichen Raum und den Anbau von bis zu drei weiblichen Pflanzen für den Eigenbedarf durch Erwachsene. Zudem ermöglicht es die Gründung von nicht-kommerziellen Anbauvereinigungen, sogenannten Cannabis Social Clubs, in denen Mitglieder Cannabis gemeinschaftlich anbauen und untereinander abgeben können.
Wichtig ist jedoch zu verstehen: Diese Regelungen beziehen sich ausschließlich auf den privaten Konsum zu Genusszwecken. Der Gesetzgeber hat eine klare Trennung zwischen dem Freizeitgebrauch und der medizinischen Anwendung von Cannabis geschaffen.
Medizinisches Cannabis: Eine eigene rechtliche Säule
Die Verschreibung von Cannabisarzneimitteln ist in Deutschland bereits seit 2017 für Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen möglich. Diese etablierte Praxis wird durch das neue Gesetz nicht aufgehoben, sondern in ein eigenes Gesetz, das Medizinal-Cannabisgesetz (MedCanG), überführt.
Medizinisches Cannabis bleibt damit ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel. Es unterliegt weiterhin strengen Qualitäts- und Kontrollstandards, um die Sicherheit und Wirksamkeit für Patienten zu gewährleisten. Der entscheidende Unterschied zum Genuss-Cannabis liegt im therapeutischen Zweck und der notwendigen ärztlichen Aufsicht.
Voraussetzungen für eine Therapie mit medizinischem Cannabis
Ein Arzt kann medizinisches Cannabis verschreiben, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:
- Schwerwiegende Erkrankung: Es liegt eine Erkrankung vor, die als schwerwiegend eingestuft wird. Dazu zählen beispielsweise chronische Schmerzen, Multiple Sklerose, schwere Formen von Übelkeit und Erbrechen (z.B. bei Chemotherapien) oder bestimmte psychische Erkrankungen.
- Keine alternative Therapie: Eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung steht nicht zur Verfügung, ist im Einzelfall nicht geeignet oder nicht zumutbar.
- Positive Prognose: Es besteht die begründete Aussicht, dass sich der Krankheitsverlauf oder schwerwiegende Symptome durch die Behandlung mit Cannabis spürbar positiv beeinflussen lassen.
Die finale Entscheidung über eine solche Therapie trifft immer der behandelnde Arzt nach einer sorgfältigen Untersuchung und Abwägung.
Die unverzichtbare Rolle des Arztes
Der Weg zu einer Behandlung mit medizinischem Cannabis führt ausschließlich über ein ärztliches Gespräch. Nur ein qualifizierter Arzt kann eine fundierte Diagnose stellen und beurteilen, ob eine Cannabis-Therapie für Sie sinnvoll und sicher ist. Jegliche Form der Eigenmedikation, insbesondere mit Produkten vom Freizeitmarkt, ist mit erheblichen Risiken verbunden. Cannabis aus privatem Anbau oder von Social Clubs unterliegt keinen pharmazeutischen Qualitätskontrollen. Der Gehalt an Wirkstoffen wie THC und CBD kann stark schwanken und es können Verunreinigungen durch Pestizide, Schimmel oder Schwermetalle vorliegen.
Im Rahmen einer ärztlichen Behandlung werden Sie umfassend über die Therapie aufgeklärt. Dazu gehört die Auswahl der passenden Cannabissorte und Darreichungsform (z.B. Blüten zur Inhalation oder Extrakte zur oralen Einnahme) sowie die Festlegung einer individuellen, schrittweisen Dosierung. Ein wichtiger Bestandteil der Beratung ist auch die Aufklärung über mögliche Risiken und Nebenwirkungen. Häufige Begleiterscheinungen können Schwindel, Müdigkeit, Mundtrockenheit oder eine Beeinträchtigung der kognitiven Leistungsfähigkeit sein [1]. Ihr Arzt überwacht den Therapieverlauf und passt die Behandlung bei Bedarf an, um den bestmöglichen Nutzen bei minimalen Nebenwirkungen zu erzielen.
Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse
Die Forschung zu medizinischem Cannabis entwickelt sich stetig weiter. Neuere Studien liefern zunehmend Evidenz für den potenziellen Nutzen bei verschiedenen Indikationen, mahnen aber auch zur Vorsicht.
- Chronische Schmerzen: Ein Scoping Review aus dem Jahr 2023 untersuchte Cannabis-basierte Medikamente im Kontext der Behandlung chronischer Schmerzen, insbesondere bei neuropathischen Schmerzen, wenn Standardtherapien versagen [1].
- Psychische Erkrankungen: Eine Übersichtsarbeit von 2023 befasste sich mit der potenziellen Rolle von medizinischem Cannabis bei der Linderung von Symptomen bei Depressionen und Angststörungen bei bestimmten Patienten. Gleichzeitig betonen die Autoren die Notwendigkeit weiterer hochwertiger Studien, um die Langzeitwirkungen und Risiken besser zu verstehen [2].
- Lebensqualität: Eine deutsche Kohortenstudie, die 2024 veröffentlicht wurde, untersuchte die Auswirkungen von medizinischem Cannabis auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität. Die Ergebnisse thematisieren mögliche Auswirkungen auf die Lebensqualität, wobei diskutiert wird, ob Patienten unter ärztlicher Aufsicht Verbesserungen in den Bereichen Schmerz und Angst/Depression erfahren können [3].
Diese Ergebnisse unterstreichen das therapeutische Potenzial, machen aber auch deutlich, dass der Einsatz von medizinischem Cannabis eine sorgfältige ärztliche Indikationsstellung und Begleitung erfordert.
Fazit: Klare Trennung zwischen Genuss und Medizin
Die Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken ist ein wichtiger gesellschaftspolitischer Schritt. Für Patienten ist es jedoch essenziell, die klare rechtliche und qualitative Trennung zur medizinischen Anwendung zu verstehen. Medizinisches Cannabis ist und bleibt ein hochreguliertes Arzneimittel, dessen Einsatz in die Hände eines erfahrenen Arztes gehört.
Wenn Sie unter einer schwerwiegenden Erkrankung leiden und Behandlungsoptionen prüfen, ist ein Gespräch mit einem Arzt der erste und wichtigste Schritt. Nur so können Sie sicherstellen, eine sichere, geprüfte und auf Ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnittene Behandlung zu erhalten.
Quellen und Studien
[1] Varrassi, G., De-Andres, J., Coaccioli, S., Pergolizzi, J. V., van Zundert, J., Hanna, M., & Pinto, P. R. (2023). Cannabis-Based Medicines and Medical Cannabis in the Treatment of Chronic Pain—A Scoping Review on Current Recommendations. Pain and Therapy, 12(3), 597–614. https://doi.org/10.1007/s40122-023-00494-1
[2] Sarris, J., Sinclair, J., Frawley, J., et al. (2023). Medical cannabis for the treatment of depression, anxiety, and burnout: a narrative review of the clinical and epidemiological evidence. European Neuropsychopharmacology, 76, 52-66. https://doi.org/10.1016/j.euroneuro.2023.08.005
[3] K ११, S., Herder, C., Schneider, M., et al. (2024). Impact of medical cannabis on health-related quality of life: a prospective longitudinal cohort study in Germany. Quality of Life Research. https://doi.org/10.1007/s11136-024-03632-6
Häufige Fragen
Was ist der Unterschied zwischen Genuss-Cannabis und medizinischem Cannabis nach dem neuen Gesetz?
Seit dem 1. April 2024 ist der Besitz und private Anbau von Cannabis zu Genusszwecken in Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen für Erwachsene legalisiert. Medizinisches Cannabis hingegen ist und bleibt ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel, das strengen Qualitäts- und Kontrollstandards unterliegt und ausschließlich zu therapeutischen Zwecken unter ärztlicher Aufsicht eingesetzt wird. Die Regelungen für medizinisches Cannabis wurden in ein eigenes Gesetz, das Medizinal-Cannabisgesetz (MedCanG), überführt.
Ist medizinisches Cannabis in Deutschland legal?
Ja, medizinisches Cannabis ist in Deutschland seit 2017 legal und verschreibungspflichtig. Die rechtliche Grundlage hierfür bildet seit dem 1. April 2024 das Medizinal-Cannabisgesetz (MedCanG).
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um medizinisches Cannabis auf Rezept zu erhalten?
Ein Arzt kann medizinisches Cannabis verschreiben, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:
- Es liegt eine schwerwiegende Erkrankung vor.
- Eine anerkannte alternative Therapie ist nicht verfügbar, im Einzelfall ungeeignet oder unzumutbar.
- Es besteht die begründete Aussicht, dass der Krankheitsverlauf oder schwerwiegende Symptome durch die Cannabis-Behandlung spürbar positiv beeinflusst werden können.
Die Entscheidung trifft immer der behandelnde Arzt nach sorgfältiger Untersuchung und Abwägung.
Welcher Arzt darf medizinisches Cannabis verschreiben?
Grundsätzlich darf jeder approbierte Arzt in Deutschland medizinisches Cannabis verschreiben, mit Ausnahme von Zahn- und Tierärzten. Einige Fachärzte mit bestimmten Qualifikationen können medizinisches Cannabis ohne vorherige Genehmigung der Krankenkasse verordnen.
Übernehmen Krankenkassen die Kosten für medizinisches Cannabis?
Gesetzlich Versicherte haben unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Kostenübernahme für medizinisches Cannabis durch die Krankenkasse. Hierfür ist in der Regel ein Antrag bei der Krankenkasse erforderlich, der die medizinische Notwendigkeit begründet. Bei Unsicherheiten können Ärzte eine Genehmigung beantragen.
Kann medizinisches Cannabis online verschrieben werden?
Die Verschreibung von medizinischem Cannabis ist im Rahmen einer telemedizinischen Behandlung grundsätzlich möglich, sofern diese den berufsrechtlichen Regelungen und der ärztlichen Sorgfaltspflicht entspricht. Allerdings plant die Bundesregierung, dass medizinisches Cannabis künftig ausschließlich nach persönlichem Arztkontakt in der Praxis oder bei einem Hausbesuch verschrieben werden soll, um dem Missbrauch entgegenzuwirken.