Applikationsformen von medizinischem Cannabis: Ein Überblick
Dieser Artikel bietet Ihnen einen sachlichen und wissenschaftlich fundierten Überblick über die gängigsten Applikationsformen. Er soll Ihnen als Informationsgrundlage dienen, um gut vorbereitet in das Gespräch mit Ihrem behandelnden Arzt zu gehen. Denn die finale Entscheidung über die für Sie und Ihre Indikation am besten geeignete Methode treffen Sie ausschließlich gemeinsam mit Ihrem Arzt.Die Entscheidung für eine Therapie mit medizinischem Cannabis ist ein wichtiger Schritt. Ein wichtiger Aspekt der Therapie ist die Wahl der passenden Applikations- oder Einnahmeform. Die Art und Weise, wie die Wirkstoffe – die Cannabinoide – vom Körper aufgenommen werden, beeinflusst maßgeblich die Geschwindigkeit des Wirkeintritts, die Dauer der Wirkung und den Therapieverlauf.
Wichtiger Hinweis: Dieser Text ersetzt keine ärztliche Beratung. Jegliche Form der Eigenmedikation ohne ärztliche Anweisung ist aus gesundheitlichen und rechtlichen Gründen dringend abzulehnen. Die hier beschriebenen Methoden beziehen sich ausschließlich auf die Anwendung von ärztlich verordnetem medizinischem Cannabis.
Die inhalative Anwendung: Schneller Wirkeintritt mit Unterschieden
Bei der inhalativen Anwendung gelangen die Wirkstoffe über die Lunge direkt in den Blutkreislauf. Dies führt zu einem sehr schnellen Wirkeintritt, meist innerhalb weniger Minuten. Diese Methode kann daher in Situationen in Betracht gezogen werden, in denen ein rascher Wirkeintritt therapeutisch erwünscht ist.
Verdampfen (Vaporisieren): Die medizinisch empfohlene Methode
Beim Verdampfen werden die Cannabisblüten oder -extrakte in einem medizinisch zertifizierten Gerät, einem sogenannten Vaporisator, auf eine Temperatur erhitzt, die unterhalb des Verbrennungspunktes liegt (typischerweise 180-210 °C). Dadurch werden die Cannabinoide und Terpene als Dampf freigesetzt, der inhaliert wird.
- Vorteile:
- Schneller Wirkeintritt: Die Wirkung tritt in der Regel nach 1-5 Minuten ein.
- Gute Steuerbarkeit: Da die Wirkung schnell spürbar ist, können Patienten die Dosis sehr genau an ihren Bedarf anpassen („Titration“).
- Reduzierte Schadstoffbelastung: Im Vergleich zum Rauchen entstehen deutlich weniger schädliche Verbrennungsprodukte wie Teer oder krebserregende Stoffe [1]. Patienten, die vom Rauchen auf das Verdampfen umsteigen, berichten häufig von einer Verbesserung respiratorischer Symptome [2].
- Nachteile:
- Anschaffungskosten: Medizinische Vaporisatoren sind eine notwendige Investition.
- Kürzere Wirkdauer: Die Wirkung hält meist nur 2-4 Stunden an, was häufigere Anwendungen erforderlich machen kann.
- Mögliche Reizung der Atemwege: Obwohl schonender als Rauchen, kann auch der Dampf bei empfindlichen Personen die Atemwege reizen.
Rauchen: Aus medizinischer Sicht strikt abzulehnen
Das Verbrennen von Cannabisblüten, oft in Form eines Joints, ist die bekannteste Konsumform, wird jedoch aus medizinischer Sicht nicht empfohlen. Bei der Verbrennung bei hohen Temperaturen (über 600 °C) entstehen zahlreiche toxische und krebserregende Nebenprodukte, die die Lunge und das Herz-Kreislauf-System schädigen. Zudem wird ein Teil der wertvollen Wirkstoffe durch die Hitze zerstört. Kein seriöser Arzt wird Ihnen die Anwendung von medizinischem Cannabis durch Rauchen verordnen.
Medizinische Inhalatoren: Präzision in der Dosierung
Ähnlich wie bei Asthma-Sprays gibt es auch für medizinisches Cannabis spezielle Inhalatoren. Diese ermöglichen eine sehr exakte, reproduzierbare Dosierung der Wirkstoffe und bieten einen schnellen Wirkeintritt ohne Verbrennungsprodukte. Sie sind derzeit in Deutschland jedoch noch nicht weit verbreitet und die Kostenübernahme durch Krankenkassen ist selten.
Die orale Anwendung: Langsamer, aber länger anhaltend
Bei der oralen Anwendung werden Cannabisextrakte in Form von öligen Tropfen oder Kapseln geschluckt. Die Wirkstoffe gelangen über den Magen-Darm-Trakt in die Leber, wo sie verstoffwechselt werden (sogenannter „First-Pass-Effekt“), bevor sie in den Blutkreislauf gelangen.
- Vorteile:
- Lange Wirkdauer: Die Wirkung kann 6-8 Stunden oder länger anhalten, was besonders bei chronischen Beschwerden vorteilhaft ist.
- Diskrete und einfache Anwendung: Die Einnahme ist unauffällig und erfordert kein Zubehör.
- Präzise Dosierung: Extrakte sind standardisiert und ermöglichen eine genaue Dosiskontrolle.
- Keine Belastung der Atemwege.
- Nachteile:
- Langsamer Wirkeintritt: Es kann 30 bis 90 Minuten, in Einzelfällen auch bis zu zwei Stunden, dauern, bis die Wirkung einsetzt.
- Schwierige Dosisanpassung: Aufgrund des verzögerten Wirkeintritts ist eine schnelle Anpassung bei akuten Symptomen nicht möglich.
- Gefahr der Überdosierung: Unerfahrene Anwender neigen dazu, zu früh eine weitere Dosis einzunehmen, weil die Wirkung noch nicht eingesetzt hat. Dies kann zu unangenehmen Nebenwirkungen wie Angst oder Schwindel führen.
- Variable Bioverfügbarkeit: Die aufgenommene Wirkstoffmenge kann je nach Mageninhalt variieren [3].
Die oromukosale Anwendung: Der Mittelweg
Bei dieser Methode werden Sprays oder Tropfen direkt auf die Mundschleimhaut (z. B. unter die Zunge, „sublingual“) gegeben. Die Wirkstoffe werden teilweise direkt über die Schleimhäute in den Blutkreislauf aufgenommen und umgehen so den Magen-Darm-Trakt und den First-Pass-Effekt in der Leber.
- Vorteile:
- Schnellerer Wirkeintritt als oral: Die Wirkung beginnt oft schon nach 15-45 Minuten.
- Gute Steuerbarkeit und Dosierbarkeit.
- Diskrete und einfache Anwendung.
- Nachteile:
- Potenziell höhere Kosten im Vergleich zu Blüten.
- Der Geschmack der Trägeröle kann als unangenehm empfunden werden.
Vollspektrum-Extrakt vs. Monosubstanz: Die Rolle des „Entourage-Effekts“
Unabhängig von der Applikationsform stellt sich die Frage nach der Zusammensetzung des Cannabis-Präparats.
- Vollspektrum-Extrakte: Diese enthalten das gesamte Spektrum der Cannabispflanze, also nicht nur THC und CBD, sondern auch zahlreiche weitere Cannabinoide, Terpene und Flavonoide.
- Monosubstanzen (Isolate): Diese enthalten nur einen einzigen, isolierten Wirkstoff, z. B. reines THC (Dronabinol) oder reines CBD.
Die Forschung deutet darauf hin, dass die verschiedenen Pflanzenstoffe synergistisch zusammenwirken könnten – ein Phänomen, das als „Entourage-Effekt“ bezeichnet wird. Es wird vermutet, dass Terpene und andere Cannabinoide die Wirkung von THC und CBD modulieren, verstärken oder deren Nebenwirkungen abmildern können [4]. Obwohl die Forschung hierzu noch nicht abgeschlossen ist, bevorzugen viele Ärzte und Patienten Vollspektrum-Präparate, da sie dem natürlichen Profil der Pflanze am nächsten kommen.
Fazit: Die individuell beste Wahl treffen Sie gemeinsam mit Ihrem Arzt
Es gibt nicht die eine „beste“ Applikationsform – es gibt nur die für Sie und Ihre individuelle Situation am besten geeignete. Die Wahl hängt von Ihrer Erkrankung, Ihren Symptomen, Ihrem Lebensstil und Ihren persönlichen Präferenzen ab.
- Die Inhalation mittels Vaporisator zeichnet sich durch einen besonders schnellen Wirkeintritt aus.
- Die orale Einnahme von Extrakten ermöglicht eine langanhaltende Wirkdauer.
- Die oromukosale Anwendung kann eine Alternative mit einem mittleren Wirkeintritt und einfacher Handhabung darstellen.
Sprechen Sie mit Ihrem behandelnden Arzt oder einem auf die Therapie mit medizinischem Cannabis spezialisierten Mediziner über diese Möglichkeiten. Im Rahmen einer ärztlichen Sprechstunde – die auch telemedizinisch stattfinden kann – können Sie alle Ihre Fragen klären und gemeinsam einen Therapieplan entwickeln, der optimal auf Ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist.
Quellen und Studien
[1] Gieringer, D., St. Laurent, J., & Goodrich, S. (2004). Cannabis Vaporizer Combines Efficient Delivery of THC with Effective Suppression of Pyrolytic Compounds. Journal of Cannabis Therapeutics, 4(1), 7–27. [2] Abrams, D. I., Vizoso, H. P., Shade, S. B., Jay, C., Kelly, M. E., & Benowitz, N. L. (2007). Vaporization as a smokeless cannabis delivery system: a pilot study. Clinical pharmacology and therapeutics, 82(5), 572–578. [3] MacCallum, C. A., & Russo, E. B. (2018). Practical considerations in medical cannabis administration and dosing. European Journal of Internal Medicine, 49, 12–19. [4] Russo, E. B. (2011). Taming THC: potential cannabis synergy and phytocannabinoid-terpenoid entourage effects. British Journal of Pharmacology, 163(7), 1344–1364.
Häufige Fragen
Welche Applikationsform für medizinisches Cannabis ist die beste?
Es gibt nicht die eine „beste“ Applikationsform. Die Wahl der am besten geeigneten Methode hängt stark von Ihrer Erkrankung, den spezifischen Symptomen, Ihrem Lebensstil und Ihren Präferenzen ab. Während die Inhalation mittels Vaporisator einen sehr schnellen Wirkeintritt bietet, ermöglicht die orale Einnahme von Extrakten eine langanhaltende Wirkung. Die Entscheidung treffen Sie immer gemeinsam mit Ihrem behandelnden Arzt.
Warum ist das Verdampfen von Cannabisblüten dem Rauchen vorzuziehen?
Beim Verdampfen (Vaporisieren) werden die Cannabisblüten nur auf 180-210 °C erhitzt. Dies setzt die Wirkstoffe als Dampf frei, ohne das Pflanzenmaterial zu verbrennen. Im Gegensatz dazu entstehen beim Rauchen bei über 600 °C zahlreiche giftige und potenziell krebserregende Nebenprodukte, die die Atemwege schädigen. Das Verdampfen ist daher die medizinisch empfohlene und deutlich schonendere Inhalationsmethode.
Wie schnell wirkt medizinisches Cannabis und wie lange hält die Wirkung an?
Der Wirkeintritt und die Wirkdauer variieren je nach Anwendungsform erheblich:
- Verdampfen: Wirkeintritt nach ca. 1-5 Minuten, Wirkdauer ca. 2-4 Stunden.
- Orale Einnahme (Öle/Kapseln): Wirkeintritt nach ca. 30-120 Minuten, Wirkdauer ca. 6-8 Stunden oder länger.
- Oromukosale Anwendung (Sprays): Wirkeintritt nach ca. 15-45 Minuten, Wirkdauer ca. 4-6 Stunden.
Was sind die Hauptunterschiede zwischen Cannabis-Öl (oral) und dem Verdampfen von Blüten?
Der Hauptunterschied liegt in der Geschwindigkeit und Dauer der Wirkung. Verdampfte Blüten wirken sehr schnell und eignen sich daher für akute Symptome, die eine rasche Linderung erfordern. Die Wirkung ist jedoch kürzer. Oral eingenommenes Öl wirkt deutlich langsamer, da es den Magen-Darm-Trakt passieren muss. Dafür hält die Wirkung viel länger an, was besonders bei chronischen Beschwerden vorteilhaft ist.
Besteht bei der Einnahme von Cannabis-Öl die Gefahr einer Überdosierung?
Aufgrund des verzögerten Wirkeintritts kann es bei unerfahrenen Anwendern zu einer Überdosierung kommen, wenn sie zu früh eine weitere Dosis einnehmen. Dies kann zu unangenehmen Nebenwirkungen wie Schwindel, Angst oder Übelkeit führen. Eine lebensbedrohliche Überdosierung ist jedoch äußerst unwahrscheinlich. Es ist entscheidend, sich exakt an die ärztliche Dosierungsanweisung zu halten und die Dosis nur langsam zu steigern („start low, go slow“).
Was ist der „Entourage-Effekt“?
Der Entourage-Effekt beschreibt die Theorie, dass das Zusammenspiel aller natürlichen Inhaltsstoffe der Cannabispflanze – also Cannabinoide, Terpene und Flavonoide – eine bessere therapeutische Wirkung erzielt als isolierte Einzelwirkstoffe (z.B. reines THC). Man geht davon aus, dass sich die Substanzen gegenseitig in ihrer Wirkung verstärken und regulieren, was zu einer verbesserten Wirksamkeit und Verträglichkeit führen kann.
